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Leben „in der Zone“ Hyperfokus und ADHS

Inspiriert zu diesem Artikel wurde ich durch ein Gespräch mit Andi. Wir sind beide ADHSler und kamen auf das Thema Hyperfokus und Musik. Zu Musik habe ich ja im letzten Post schon einiges erzählt.

Heute will ich etwas näher auf das Thema Hyperfokus eingehen.

Mein üblicher Recherche Weg zu meinen Blog-Post führt über Pubmed und die Suche nach Studien und wissenschaftlichen Arbeiten zu dem Thema. Begonnen habe ich damit um 13:36 Uhr. Nach 13 geöffneten Tabs, 2 Doktorarbeiten und 5 verschiedenen Word-Dokumenten zum Sortieren, war ich soweit diesen Beitrag anzufangen (Es ist jetzt 15:33 Uhr). Ich bin prompt im Hyperfokus gelandet. Da es ein Thema ist, das mich interessiert.

Beginnen wir mit der Frage, was Hyperfokus eigentlich ist.


Definition des Hyperfokus


„Hyperfokus ist, allgemein und anekdotisch gesprochen, ein Phänomen, das die völlige Vertiefung in eine Aufgabe widerspiegelt, bis zu einem Punkt, an dem eine Person alles andere völlig zu ignorieren oder "auszublenden" scheint. Es wird im Allgemeinen berichtet, dass es auftritt, wenn eine Person an einer Aktivität beteiligt ist, die besonders viel Spaß macht oder interessant ist. Ein Beispiel für Hyperfokus ist, wenn ein Kind so sehr in ein Videospiel vertieft ist, dass es nicht mehr hört, wie ein Elternteil seinen Namen ruft. Obwohl die meisten neurotypischen Menschen wahrscheinlich berichten würden, dass sie irgendwann in ihrem Leben einen hyperfokusähnlichen Zustand erlebt haben, wird er am häufigsten im Zusammenhang mit Autismus, Schizophrenie und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung erwähnt – Erkrankungen, die Auswirkungen auf die Aufmerksamkeitsfähigkeit haben.“ [1]

(Brandon K. Ashinoff, 2019)


Ich bin spezialisiert auf die Behandlung von neurodivergenten Erwachsenen, insbesondere ADHSler.

Hyperfokus betrifft sehr viele von uns. Es ist ein Phänomen, das auch Neurotypische betrifft, aber in geringerer Häufigkeit und Intensität. Das gilt grundsätzlich für die meisten unserer Charakteristika.

Hyperfokus hat sowohl gute als auch schlechte Seiten.

Leider sind nur die wenigsten von uns in der Lage, außerhalb des Hyperfokus Arbeiten zu erledigen. Viele von uns nutzen Musik o.ä., um sich solche Aufgaben zu erleichtern



Hyperfokus hat verschiedene Aspekte


Hyperfokus ist manchmal nicht angenehm. Wir vergessen zu essen, zu trinken, uns zu bewegen und auch die Menschen um uns herum. Dies hat auch Einfluss auf unser emotionales Erleben.

Werden wir im Hyperfokus „gestört“ reagieren wir häufig irritiert, gereizt teilweise auch wütend. Denn wieder „in die Zone“ zukommen ist manchmal gar nicht so einfach und gelegentlich auch unmöglich. Aber wenn dies unsere Einzige Möglichkeit ist bestimmte Aufgaben zu erledigen – und wir sie aufgrund einer Unterbrechung nicht abschließen können, müssen wir die negativen Konsequenzen selbst tragen.


Mit Eltern und/oder neurotypischen Angehörigen kommt dann oft:


„Dann setz dich halt wieder dran und mach es so.“


Geht nicht.

Keine Chance.


Es ist lieb gemeint, aber so funktioniert unser Gehirn nun mal nicht. Wir wollen. Aber wir können nicht. Es ist das Äquivalent zu

„lass dir Kiemen wachsen und leb bei den Fischen“.


Egal wie sehr wir das wollen – wir sind nicht dazu in der Lage.

Oft meinen es Angehörige nur gut.


„Hey du hast dich seit 18 Stunden nicht vom Laptop bewegt, gegessen, getrunken oder die Toilette benutzt. Ich mache mir Sorgen.“


Die Sorgen sind berechtigt. Und manchmal ist man auch dankbar für solche Störungen.

Manchmal nicht. Wenn wir wie immer 2 Stunden vor dem Abgabetermin 35 Seiten Abschlussbericht schreiben müssen. Vielleicht noch über ein Thema das vor 8-10 Monaten bekannt gegeben wurde, damit wir genug Zeit haben. Da ist eine Störung im Hyperfokus teils Laufbahn-zerstörend.


Die Hauptkennzeichen von Hyperfokus sind:


Ein Zustand erhöhter, intensiver Konzentration von beliebiger Dauer, die höchstwahrscheinlich bei Aktivitäten im Zusammenhang mit Schule, Hobbys oder "Bildschirmzeit" (z. B. Fernseh- Nutzung, Computernutzung usw.); Dieser Zustand kann die folgenden Eigenschaften:
- Zeitlosigkeit,
- Unachtsamkeit für den Rest der Welt,
- persönliche Bedürfnisse zu ignorieren,
- Schwierigkeiten beim Anhalten und wechseln der Aufgaben,
- das Gefühl der totalen Versenkung in die Aufgabe und
- das Gefühl, in kleinen Details "festzustecken".[2]

(Kathleen E Hupfeld T. R., 2018)




Ist es Hyperfokus oder bin ich nur gut konzentriert?


Um die Intensität von Hyperfokus zu beurteilen, gibt es einen Fragebogen[3].

Ich habe euch einige Fragen hier zusammengestellt.


Wenn ich sehr fokussiert bin oder etwas tue, dass ich als besonders lohnend empfinde….



1. Ich tendiere dazu jegliches Zeitgefühl zu verlieren


- Niemals

- 1-2x in 6 Monaten

- 1-2x pro Monat

- 1x pro Woche

- 2-3x pro Woche

- Täglich


2. Ich reagiere nicht auf Ablenkungen (z.B. wenn mich jemand anspricht)


- Niemals

- 1-2x in 6 Monaten

- 1-2x pro Monat

- 1x pro Woche

- 2-3x pro Woche

- Täglich


3. Ich finde es sehr schwierig dann, etwas anderes zu tun – auch wenn ich viele andere wichtige Dinge, die ich erledigen sollte - zu tun habe.


- Niemals

- 1-2x in 6 Monaten

- 1-2x pro Monat

- 1x pro Woche

- 2-3x pro Woche

- Täglich


4. Manchmal fokussiere ich mich viel zu lange auf zu kleine Details der Aufgabe und vermeide andere wichtigere Teile.


- Niemals

- 1-2x in 6 Monaten

- 1-2x pro Monat

- 1x pro Woche

- 2-3x pro Woche

- Täglich


Den vollständigen Fragebogen, findet ihr unter Materialien und Übungen – Fragebögen. Um darauf zugreifen zu können müsst ihr euch per E-Mail/Google/Facebook registrieren und von mir das Passwort bekommen. Aber es ist kostenlos und wenn ihr euch registriert habt, biete ich auch kostenfreie Auswertungen eurer Ergebnisse an. Schickt mir dazu einfach euren vollständig ausgefüllten Fragebogen per Mail an ergo-mara@outlook.de




Umgang mit Hyperfokus


Eine der besten Eigenschaften von einem meiner ehemaligen Mitbewohner war sein Verständnis in diesen Dingen. Immer wenn er gemerkt hat, dass ich z.B. gründlich abstaube, umräume, mich beim Putzen in Details verliere, … kam er rüber und hat mich gefragt: „Was vermeidest du gerade?“

Es ist recht typisches vermeidungsverhalten. Für mich ist es übrigens meistens „Papierkram“.

Aber wir können es uns auch nutzbar machen.


Ihr habt eine wichtige Aufgabe – die aber nicht besonders lohnend oder interessant ist: Das Vorbereiten einer Präsentation eines vorgegebenen Themas in 6 Wochen.


Euch und Mir ist klar, dass ihr jetzt anfangen solltet. Uns ist klar, dass wir das nicht tun.

1-2 Tage nach Ankündigung der Präsentation fällt uns diese Aufgabe kurz nochmal ein, um dann bis auf die Nacht vorher „vergessen“ zu sein. Dieses Zeitfenster könnten wir nutzen, um doch an der Präsentation zu arbeiten. Aber ich wollte auch schon lange Mal lernen, wie man einen Angelschien bekommt. Das ist bestimmt auch gut, weil ich mich mental beschäftigte, und das ist im Gegensatz zu der Präsentation interessant. 4 Stunden später erstellt man ein Gesuch zum Schutz aussterbender Fische. Oder man unterbricht sich (oder wird unterbrochen am Anfang dieser Phase):


„Was vermeidest du?“


Und jetzt wird es unangenehm. Denn für gewöhnlich war dir nicht bewusst, dass du etwas vermeidest. In dem Moment, in dem du es aussprechen musst, wird es real. Aber auch angreifbar!

Diesen Moment sollte man Nutzen um das Momentum der vorherigen (interessanten) Aufgabe zu der langweiligen zu übertragen und damit weiterzumachen. Und dann gibt es zwei Varianten:


Option 1:

Es löst auch mit Musik und optimalen Bedingungen keinen Hyperfokus aus: Bleib bei der Musik benutz einen Timer, mach regelmäßige Pausen, wechsle in einem für dich passenden Rhythmus zwischen der interessanten und der uninteressanten Aufgabe.


Option 2:

Du kommst in den Hyperfokus! Yay! Keine Timer. Sorg dafür, dass niemand dich stört. Sei darauf vorbereitet und vorher schon gut mit Essen und trinken versorgt.




Tipps:


- Videospielmusik und auch 8D Musik können helfen in den Hyperfokus zu kommen (s.u.)

- Unterbrechungen im Hyperfokus vermeiden (Benachrichtigungen stummschalten)

- Study Bunny

- Vorher: Genug Essen und Trinken

- Hinterher: Bewegen, Essen, Trinken und mit anderen Menschen interagieren

- Belohnungssystem: Kekse und Gummibärchen funktionieren meistens nicht, denn man kann Sie ja auch einfach jetzt schon essen. Also versucht euer belohnungssystem zu externalisieren: Treffen mit einem Freund, Kinobesuch,… etwas dasd zeitlich nicht jetzt sofort zur verfügung steht und idealerweise durch eine andere person bestätigbar ist

- Body Doubling: Sucht euch jemanden der Anwesend ist, ohne euch abzulenken. Auf der „Squirrrel Station“ dem Discord-Server gibt es meistens jemanden der zumindest digital dafür zur Verfügung steht.



































Habt ihr eigene Tipps? Eigene Erfahrungen?


Kommentiert gerne.

Ich freue mich auf eure Fragebögen!




Mara





Es ist jetzt 17:27

Ich habe 49 Seiten an Notizen erstellt.

Der Fragebogen wird morgen - Samstag den 15.07.23 ab 15:00 Uhr zur Verfügung stehen)




Quellen:

[1] Brandon K. Ashinoff, 2019 [2] (Kathleen E Hupfeld T. R., 2018) [3] Kathleen E Hupfeld, P. S. (09. 12 2016). OSF Home . Von https://osf.io/g4sdx abgerufen






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